Die Ruhe im Irrsinn

Man muss diese Gesellschaft, gemessen an öffentlichen Stimmen, unbedingt bipolar nennen. Heute folgen zwei Menschen auf Instagram. Morgen verschwinden sie wieder. Schockierend ist nicht Mr. West, der zukünftige Präsident von Amerika. Schockierend ist die Resonanz einer bipolaren Öffentlichkeit. Manchmal hat man das Gefühl, dass man in einer offenen Psychiatrie leben muss. Da wird eine Berlinerin, im Irak lebend und für das Goethe-Institut tätig, entführt. Eine depressive Meldung, monoton und gleichgültig vorgetragen, quält sich durch den Äther. Der Moderator scheint ihren Namen vergessen zu haben. Er will ihm nicht über die Lippen kommen. Vielleicht fühlt er sich von dem Namen bedroht, weil es der Name der bärtigen Oma war, die er als Kind immer küssen musste. Herr Deniz Yücel war in der manischen Phase Thema. Jeder, der ihn nicht kennt/kannte, rief und schrieb: "Free Deniz!" Die Frankfurter Allgemeine. Das für schreibende Proleten unerreichbare Nirvana. Die Frankfurter Allgemeine berichtet über Mr. Kayne West. Natürlich braucht die bipolare Gesellschaft sinnige Stilmittel; und so heißt die Journalistin aus Los Angeles Christiane Heil: "Was ist los mit Kanye West?" Frau Heil macht sich Sorgen um den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Frau Heil ist natürlich keine freie schreibende Rasierklinge. Sie ist eine von so unendlich vielen schlichten und angepassten Menschen in dieser ungeschützten Branche, die Sommerlöcher füllen. In einer bipolaren Gesellschaft geht es nicht um Inhalte. Es geht darum, dass Menschen an Stammtischen sagen: "Ich schreibe für die Frankfurter Allgemeine - über Kanye West!" Der exemplarisch zur Schau gestellte Verfall einer von Bildung gelangweilten Gesellschaft, die ihr Alphabet manisch aggressiv auf die Buchstaben D, O, L, L, A und R verstümmelt hat, könnte ostentativ erklärt werden. Bipolare können heute einen roten Knopf drücken, die Erde ins Kriegschaos versetzen und morgen weinend in das dafür gebaute Becken der neuen First Lady fallen und unschuldig kindlich um Verzeihung bitten. Schuld ist immer die Mutter. Eine bipolare Gesellschaft fürchtet sich nicht vor einem Atomkrieg! Das machen nur Verschwörungstheoretiker. Selbst Cher bekundete vor Jahren, dass ihre Silikoneinlagen absolut strahlungsresistent sind und Annegret Kramp-Karrenbauer lockt 17-Jährige für den Heimatschutz. Sie lockt mit 1.500 Euro monatlich. Brutto! "Was war mit Kayne West los?" Die über die Maße akademische Frage wird nach Kriegen immer gestellt. Bedauerlicherweise dokumentiert die Gattin des zukünftigen US-Präsidenten in diesen Tagen, dass ihr Mann ein Genie ist, wenn auch kompliziert. Das sind Fakten, die von der Frankfurter Allgemeinen gerne übernommen werden. Bipolare verlieren den Überblick. Sie beziehen alles auf sich selbst. Rassismus ist in Amerika keinen Dollar mehr wert; und deshalb postet selbst die Schauspielerin Julianne Moore auf Instagram eine Warntafel aus dem Holocaust-Museum, die in wenigen Punkten auflistet, wie Faschismus ensteht. Sie sieht ihr Amerika bereits mittendrin. Sie empört sich nicht etwa laut über die in Amerika kultivierten Judenwitze, über die erlaubten Hakenkreuzfahnen…Sie rennt hübsch dramatisch vor der eigenen Historie davon. Die deutsche Geschichte ist plötzlich die amerikanische Geschichte. Dunja Hayali (ZDF) verehrt sie, zieht trotzdem das Leben mit einem Hund vor. Ich frage mich, wo und wie traurig gesunde Menschen, in einer bipolaren Gesellschaft, die Tiefen kategorisch ablehnt, zur Ruhe kommen können!