Corona & Ich

Für mich persönlich ist Corona ein Virus - und ich muss mich davor schützen. Es gibt bisher leider keine 100 % sicheren Tests. Es gibt noch keine erprobte Medizin. Ich trage also einen Mundschutz und halte den Abstand zu anderen Menschen. In der Hochzeit um AIDS - Anfang der 1990er Jahre - ging es auch um die Maße Nähe und Distanz. War das gemeinsame Glas gefährlich? Ist ein Kuss auf die Wange gefährlich? Blutkonserven tropften Patienten das Todesurteil in die Venen. Drogenkonsumenten infizierten sich, weil sie die Spritzen teilten. Kann der Besuch beim Zahnarzt tödlich enden? Was, wenn genau am Tag meines Besuches das Besteck nicht steril auf dem Tablett der Zahnärztin landet? Die Reise mit tödlichen Krankheiten ist in Teilen auch Fiktion. Es ist wie in dem Roman Der Medicus, der 1987 übersetzt wurde und in Deutschland 6 Millionen Mal verkauft wurde. 1999 kürte die Buchmesse in Madrid den Roman zu einem der zehn beliebtesten Bücher aller Zeiten. Die Hauptfigur Robert Jeremy Cole, Waisenkind im 11. Jahrhundert, wächst in London bei einem Chirurgen auf. Er lernt bei ihm das Handwerk der Heilkunst. Er will den besten Lehrmeister für seine Bestimmung finden. Hilfreich ist seine Gabe, den nahen Tod eines Patienten in seinen Händen zu spüren. Nach dem Tod seines Ziehvaters macht er sich auf den Weg nach Persien. Dort will er den berühmten Heiler Ibn Sina finden, der in Isfahan in einer Schule für Medizin unterrichtet. Auf dieser Lesereise gehört Straßburg bereits zu Frankreich, nicht zum Herzogtum Schwaben. Rob reist durch das byzantinische Reich, das er bereits als Türkei erkennt. Er sieht jene Steinburgen in England, die es in seinem Jahrhundert noch nicht geben konnte. Inmitten einer pestfreien Epoche erlebt Rob eine Pest in Persien. Der Schwarze Tod kam erst 1346. Er forderte in Europa 25 Millionen Tote. In Deutschland verlor jeder zehnte Einwohner sein Leben. Mortalitas magna. Die sozialen Auswirkungen bei Ausbruch des HIV-Virus hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den sogenannten Pestpogromen. Das aufgebrachte Volk. Im Fall der Pest unterstellte man Juden, dass sie Brunnen und Quellen vergifteten. AIDS nannte man die Schwulenseuche. Nur der menschlich anständige Schutzinstinkt für persönliche Daten und der starke Wille der Gay Community verhinderten Schlimmstes. Heute gibt es Corona. Trotz eines Datenschutzgesetzes spielen Daten keine Rolle. Gastwirte, Friedhöfe, Modelagenturen, also Menschen in der Wirtschaft, Rechte oder Linke, Stabile oder Instabile, sollen Listen führen, Meldung machen. Der gehorsame Soldat garantiert Gästen, Arbeitnehmern, Kunden gar nichts mehr. "Wir testen sie vor dem Job. Wir bezahlen den Test auch." Das Versagen dieser Regierung kultiviert die alte Hetzjagd. Sie lagert höchste Verantwortung aus und ernennt eine Agenturbesitzerin zur internen Mitarbeiterin. Ein Friedhofsverwalter führt Listen, wie ein interner Mitarbeiter. Wann meldet er was? Er - selbst ungetestet - hat täglich fünf Beerdigungen. Würfelt er bei akuten Symptomen eine Familie, die er beschulden möchte? In dieser fragilen Gesellschaft, die in jedem Autofahrer einen Amokfahrer vermuten soll, die bei jedem herrenlosen Rucksack eine Bombe vermuten soll, ruft kein Angehöriger einen gänzlich Fremden an, der zum juristischen Amokläufer mutieren könnte: "Hallo, ich wurde positiv auf Corona getestet, obgleich ich nie getestet wurde." Mir fällt eine Geschichte von Anne Will ein. Sie traf eines Tages die Kanzlerin und sie bot ihr einen Kaffee an. Frau Merkel fragte nicht nach einem Löffel. Sie nahm einen wertvollen, außerordentlich kostbaren Kugelschreiber von Frau Will und rührte damit ihren Kaffee um. Schlechte Manieren werden durch eine Pandemie sichtbar nicht besser. Robs Reise nach Isfahan basierte natürlich nicht auf Fakten. Es ist ein Roman, der zahlreiche Serendipitäten versteckte.