Die Doppelmoral

Ich denke, dass die dauernd ausgelobte Doppelmoral in diesem Land viele Menschen krank machte, depressiv machte, unmutig machte, auch in den Suizid getrieben hat. Die Transparenz, der Blick in die Welt deckt das täglich leicht auf; und dieses Aufdecken macht nicht beliebt. Das zeigt, in welchem Modus dieses Land läuft. Während der Weltkrieg um Wohlstand tobt, sollen wir im Kern einen Krieg feiern, der vor 80 Jahren beendet wurde. Die Stimmung ist eher down, der Feiertag ist…naja. Die fette Party läuft an der deutschen Börse. Rheinmetall brilliert mit schwindelerregenden Umsätzen. Der Konzern schießt aus vollen Rohren in die Welt und erwartet ein Plus von mindestens 30 Prozent im Jahr 2025. Waffen gehen nach Singapur, Waffen gehen in die Türkei, Waffen gehen nach Algerien, Waffen gehen in die USA. Die Rüstungskonzerne lassen die Champagner-Korken heute so richtig knallen. Die Aktie von Rheinmetall hat mit knapp 1600 Euro noch Luft nach oben. Die Hälfte aller in Deutschland produzierten Waffen geht natürlich in die Ukraine. Deutschland will den Wohlstand sichern. Die Doppelmoral klingt so: "Deutschland will den Frieden sichern." Wie sauber das Morden und das Metzeln klingt. Das ist lebendig. Ich stelle mir gerade vor, dass meine zierliche Nachbarin eine Waffenmesse besucht, Champagner mit einem Waffenhändler trinkt. Und in der prickelnden Champagnerlaune kauft sie Panzer, Waffen und Kübelwagen. Vielleicht raucht sie auch eine Zigarre vor Glück. Dann rollt sie mit einer durchgestylten Armee durch die Straße Am Lokdepot. Sie beschädigt natürlich nicht die bereits bröselnde Haustreppe. Sie inszeniert erst einmal eine imposante Truppenbewegung. Da sie für eine gesunde und klare Hausordnung sorgen möchte, um ihr Hoheitsgebiet in den Frieden zu bringen, werden natürlich keine Frauen vergewaltigt, keine Kinder aus den Wohnungen gezerrt und, wie totes Fleisch, über Brüstungen geworfen. Mindestens die Hälfte der Anwohner bekäme, durch reine Präsenz, einen lüsternen Adrenalinschub. Auf eine fast schon perverse Art würde ihre kultivierte Trägheit verschwinden. Es sind jene Menschen, die durch Krieg Heilung erfahren. Reporter müssten dann fragen: "Ist ein Hauskrieg für Sie so eine Art Therapie? Wollten Sie gerne sehen, wie das Geschäft ihres Nachbarn geplündert wird? Wollten sie sehen, wie Menschen aus diesen Häusern gezerrt werden? Möchten Sie gerne etwas an die Scheiben malen?" Niemand wollte…sie waren nie Rassisten….keiner wollte je einen Krieg... Sogar der Architekt wird das bezeugen. Sie werden sich mit den Homosexuellen im Haus schmücken. Sie werden kundtun, dass sie immer gut miteinander lebten….dass sie schon immer tolerant waren und auch weltoffen. Die anderen haben nichts gesehen. Sie haben nichts gehört. Sie wollen auch nichts sagen. Eine Anwohnerin, die dringend Berühmtheit erlangen muss, wird sich in ihrer Zwanghaftigkeit anbiedern. Sie wird sich sofort als nett auszeichnen. Die korrupten Strukturen im Haus kann sie nicht erklären. Der Verwalter wird zum x-ten Mal seine Anschrift ändern, weil das Lokdepot nur ein Prestigeobjekt für ihn ist, um an andere Objekte zu kommen. Er wird sich schleichen. Meine Nachbarin wird von jedem deutschen Gericht freigesprochen, denn sie hat ihren italienischen Mieter geschützt, also Europa. Sie hat ihr Hoheitsgebiet verteidigt und letztlich hat sie jene korrupten Plünderer bekämpft, die Mieter um korrekte Abrechnungen brachten, die urplötzlich Guthaben ausweisen. Deutschland kann schließlich nicht eine Doppelmoral anstellen und ausstellen, wie es gerade passt. Jeder Krieg meint, dass der Tod keine liebevolle Bestattung braucht. Wie Hannah Arendt so schön sagte: "Einer muss aufräumen. Einer muss immer aufräumen."