Mitten im Leben...

…sind wir vom Tod umfangen. Media vita in morte sumus. Die Antiphon wurde von Martin Luther 1524 ins Deutsche übertragen: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen. Wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen?…" Vorgestern, es ging mir sehr gut, traf ich auf der Straße einen langjährigen Bekannten. Ich freute mich. Mein Bekannter sah, wie immer, gut aus. Er stieg von seiner Harley Davidson ab und zog seine schwarze Sonnenbrille nur bis zur Stirn hinauf. Erst dann lachte er - wie immer. Ich vermutete, dass es ihm gut geht - wie immer. Er war gebräunt und strahlte - wie immer. Ich fragte, wie immer: "Mensch, wie geht es Dir?" Er lächelte und erzählte mir, dass er wegen extremer Verspannungen zum Arzt ging und nach langen Untersuchungen die Diagnose Lungenkrebs erhielt. Ich nahm meinen inneren Panicroom wahr - den ich als Kind gebaut hatte. Gerne wollte ich hineinlaufen, die 1000 Sicherheitsriegel schließen, das Licht anmachen, die Belüftung einschalten, den Kühlschrank checken, eine kalte Cola öffnen, die Schuhe ausziehen, mich auf ein bequemes Bett legen und mich an der strahlend weißen, extrem frischen Bettwäsche erfreuen. Der dicke Panzer ließe Ereignisse schlicht nicht stattfinden, weil Botschaften nicht eindringen könnten. Ich blieb bei meinem Bekannten; und wir beide dachten, dass schwere Diagnosen eine medizinische Behandlung verdient hätten. Mein Bekannter wartet seit 4 Wochen auf eine Nachricht von seinem Arzt, den er nicht erreichen kann. Er wartet auf eine Überweisung in ein Krankenhaus. Er erzählte von seiner Unruhe und von seiner Angst. Wenn ich heute aus meinem Geschäft laufen würde und auf der Straße alarmierend laut rufen würde: "Es brennt! Feuer! Hilfe, es brennt. Rettet Euch und Eure Kinder.", kämen alle Menschen an ihre Fenster gelaufen. Sie könnten kein Feuer entdecken, keinen Rauch riechen. Sicher würde ein Mensch rufend nachfragen: "Wo ist das Feuer? Was meinst Du?" Ich würde aufgeregt berichten, dass Feuerwellen in Etappen auf Berlin zukommen. Während ich alle Bewohner auf Trab halte, verkochen Kartoffeln auf Herden, bleiben Skripte auf den Tischen liegen, werden Bücher nicht gelesen, Blumen nicht gegossen. Da ich Am Lokdepot ein stiller und arbeitender Mensch bin, würden die anderen Bewohner nicht unmittelbar vermuten, dass die Bestatterin plötzlich hysterisch geworden ist. Ich erkläre laut und deutlich, dass die Feuerwellen alles verwüsten können, wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden. Irgendwann würden die Bewohner sich merkwürdig bedanken und ihre Fenster schließen. Sie würden aber ganz sicher nicht wohlig ins Bett gehen und ruhig schlafen. Sie würden die Feuerwehr anrufen, die Nachrichten verfolgen. Sie würden suchen. Sie fänden vielleicht eine Nachricht über einen Wohnungsbrand in Brandenburg, verknüpften sodann die Nachricht mit meiner prophezeiten Feuerwelle. Meine Aktion, hier hypothetisch, würde noch Tage in ihrem Gedächtnis hängen und nur langsam ins Unterbewusstsein sickern. Es bräuchte nur einen zweiten Menschen, der das Wort Feuer sagte, um die Unruhe der Bewohner erneut zu aktivieren. Ihre Arbeit würde leiden, weil die Konzentrationsfähigkeit massiv gestört wurde. In der akuten Panik um Corona penetrierte mich mein Mobilfunkanbieter, also eine Firma; zudem eine Firma, die mich nie sehen oder treffen wird, mit dem Hashtag stayhome, dann mit dem Hashtag Bleib gesund, um in diesen Tagen doch lieber wieder den eigenen Firmennamen zu senden. Meine Geschäftspartner und ich würden im Traum nicht darauf kommen, perfide politische Mahnungen an Kunden zu senden. Niemand würde seine Firmenlogos austauschen. Diese Firma, warum auch immer, ließ ihre eigentliche Arbeit liegen und erfüllte einen politischen Auftrag. Gesunde Kunden wissen nun also, dass ein Mobilfunkanbieter politische Aufträge konzipiert oder politische Aufträge erfüllt. Ich mag mir die absolut mögliche Bandbreite der Propagandamöglichkeiten nicht vorstellen. Während Medien Corona-Tote zählen, sterben Menschen an Krebs, die nicht behandelt wurden.