Der ruinierte Ruf bleibt ein Ruf

Ein Mann stirbt. Die Polizei kontaktiert die Ehegattin. Sie wird in eine Wohnung gebeten, die ihr nicht bekannt ist. Dort muss sie ihren verstorbenen Gatten identifizieren. Er starb in der Wohnung einer anderen Frau, die der Polizei unnötigerweise beichtet, dass sie eine Affaire mit dem Verstorbenen hatte. Die Todesursache ist ein Herzinfarkt, der nicht von einer Affaire geplant und verursacht wurde. Die Ehegattin möchte nach der Identifikation die fremde Wohnung so schnell wie möglich verlassen. Die beichtend aufgelöste Geliebte geht ihr schlicht auf die Nerven: "Wer mich mit meinem lebenden Mann betrügen kann, kann mich auch beim Todesfall meines Mannes belügen!" Jene Ehegattin war nicht die Ungenierte. Im Gegenteil. Sie hatte das, was echte Berliner pflegen und schätzen - eine eigene, unverkennbare Stimme. Das ist im Grunde alles, was Menschen brauchen. Ein Pfarrer ohne Stimme erreicht keine Herzen. Ein Redner ohne Stimme bleibt keiner Familie in Erinnerung. Der Abschied braucht schließlich eine Stimme: "Mein Mann hat mich von der Trauer entbunden." Die Gattin klang nicht bitter. Sie klang frei. Sie war nicht verärgert. Sie war eher über die naiv beichtende Geliebte belustigt: "Die Uniformen verwandelten ihren Ehebruch wohl in einen Jerry Cotton Krimi!" Sie hatte die Noblesse, die ich von meiner Mutter kannte. Die Beerdigung war keine Bestrafung. Sie wurde nobelst ausgestattet. Die Geliebte wurde in die erste Reihe zitiert; und die Ehefrau selbst ging schlicht und einfach nicht zur Beerdigung. Sie war nicht hart oder kalt. Sie war klar, wie ein See. Dieser Typus Frau gehört zu meinen liebsten Vorbildern - weil sie ALLES aufdecken. Sie decken schlechten und arroganten Journalismus auf, der sich am Ende selbst vor der unangenehmen Wahrheit fürchtet! Die Gletscher müssen schon verschwunden sein, damit große Journalisten über Bienen schreiben. Es müssen schon Millionen Kinder auf die Straße gehen, um die Grünen zu entlarven: "Ihr legt Euch jetzt auch mit den Bienen und den Kiebitzen an…" Es braucht Dieselskandale, Bankenskandale; es braucht sogar eine Ölpest in der Nordsee, um Traditionshäuser zu entlarven. Greenpeace? Die tragen nicht des Kaisers neuen Kleider; und deshalb müssen sie auch nicht nur schön aussehen und schweigen. Sie haben eine Stimme! Kein Traditionshaus kann sich eine Lüge leisten. Heute müssen viele Häuser sehr, sehr leise sein. Sie müssen auffallend oft mit Kanonen auf Unabhängige schießen. Weil die eine Stimme haben!