Gleichgültigkeit

Die Gleichgültigkeit, die in Berlin regiert, wird die Gesetze am Ende nur verschärfen. Während Medien darüber berichten, dass Menschen müde sind, sich nicht um Politik kümmern und ein Bild der hart arbeitenden Politiker zeichnen, unterhalte ich mich sogar mit meinen Hinterbliebenen über Politik. Menschen sind also derart belastet, dass es ihren Alltag massiv stört, ihre Trauer verhindert. Menschen sind gehetzt und getrieben. So kenne ich Berlin nicht. Gestern sah ich den regierenden Bürgermeister von Berlin im KadeWe. Jeder Mensch, der eine Gehaltserhöhung erfährt, geht shoppen, kurbelt die Wirtschaft an. Interessant war nicht der Bürgermeister. Interessant war die Reaktion der Verkäufer und Kassierer, die täglich 8 Stunden ohne Fenster und ohne frische Luft -stehend- arbeiten müssen, die in einem Haus tätig sind, das immer mehr Menschen anzieht - besonders samstags. Es sind jene Mitarbeiter, die jeden Abend auf ihre S-Bahnen und U-Bahnen warten müssen, bis sie dann ausruhen können. Ihre Beine schmerzen, ihre Füße schmerzen, ihr Rücken schmerzt, ihr Kopf schmerzt. Mich begrüßten sie überaus herzlich! Weil ich nicht die Bürgermeisterin Berlins bin? Ich stellte fest, dass der Bürgermeister und ich etwas gemeinsam haben. Wir brauchen beide keine Security im KadeWe, wir werden beide nicht mit Eiern beworfen, wir werden nicht angepöbelt. Menschen in Berlin sind also äußerst freundlich. Ihr überaus strapazierter Geduldsfaden reisst nicht ab. Echte Berliner kennen das in der Welt berühmte Stadtgesetz: "Leben und leben lassen." Ich habe lange über die Aussage von Noah Becker nachgedacht: "Berlin ist weiß - im Verhältnis zu London und Paris." Ich freue mich immer, wenn ich die Werbeplakate seiner Mutter in den Baumärkten sehe. Ich mag ihr Design, weil ich sie mag. Ich mag ihre geerdete Art. Sie ist nicht überheblich und damit eine echte Geschäftsfrau. Ich weiß, dass sein Vater, Boris Becker, ein deutscher Tennisstar ist, der ein sportlicher Weltstar wurde. Durch die Medien weiß ich, dass er kein guter Geschäftsmann ist. Vielleicht reichte ihm der Tennisruhm nicht. Ich finde die Aussage von Noah Becker ausschließlich oberflächlich und elitär. Der arme Künstler, der miese Jobs machen muss, also für Lacoste modeln muss, für Lenny Kravitz Bilder malen muss, der im Fernsehen kochen muss, kann sich nur ein Atelier in Kreuzberg leisten. Er verkleidet sich wie Jean-Michel Basquiat und scheitert auf Kosten anderer. Noah Becker vergisst, wie so viele junge Menschen, das imperiale Jahrhundert Großbritanniens, das sich mit der Befreiung der Sklaven rühmte, großherzig das Ende des Sklavenhandels beschloss. Was sieht Noah Becker in London genau? Indisches Putzpersonal in Hotels? Indische Taxifahrer? Indische Ärzte? Sieht er afrikanische Politiker? Sieht er afrikanische Bankangestellte, wenn seine Visa nicht funktioniert? Noah Becker redet wie ein entmündigter Junge mit reichen Eltern. Er glaubt, dass er sich in Berlin verkleiden kann. Er will sich mit dem Schmutz der harten Erfahrungen eincremen, um ein echter Künstler zu sein. Es ist nicht sein Schmutz! Es wird nie sein Schmutz sein! Im Gegenteil. Er kultiviert auf elitäre Weise den Schmutz derer, die ihn durch harte Arbeit loswerden wollen. Berlin erstickt an gleichgültigen Menschen, die sich verkleiden und schlechtes Theater spielen.