Der Ausverkauf

Wenn Künstler Kunst erklären, peinlichst nach Worten suchend, dann sind es keine Künstler mehr. Sie erinnern allenfalls an Erika Berger, die Sternzeichen erklären will. Es gibt Fragen, die sich schlicht nicht stellen, weil Kunst sich selbst eröffnet. Kirchen erklären ihre Friedhöfe, wie Unternehmen, die Gewinne abwerfen müssen. Das ist sehr bezeichnend, denn Denkmäler verlieren dadurch ihren Wert, während der Wert des anonymen Grabes in der Gesellschaft "steigt"; was zu einem selbstbestimmten Verfall und zum angesteuerten Verlust führt. Die Kirche demontiert sich in Berlin quasi selbst. Sie lebt keine Rituale. Sie bestimmt ihre Friedhofskultur nicht, die sie lebt, vorlebt und überliefert. Sie lässt ihre Kirchenmitglieder in den anonymen Gräbern verschwinden - ohne jemals Gespräche oder Ansprachen zu suchen. Die kirchlichen Friedhöfe Berlins folgten dem städtischen Unsinn. Landschaftsgärtner wurden gefeuert. Man muss sich mal vorstellen, dass die Kirche ihre Denkmäler, ihre Friedhöfe lieblos, wie eine Last betrachtet, behandelt, verkommen lässt. Kaum sieht man Pfarrer auf ihren Friedhöfen, die Denkmäler betrachten, pflegen, Pflege delegieren. Mitarbeiter bleiben unmotiviert. Sie machen ihren Dienst. Das sehen Investoren und die machen Angebote. Und der leidende Pfarrer ist dann zufrieden, dass man ihm die Last abnimmt. Er weint bitterlich, dass er über die Vermietung an Friedhof-Cafés Einnahmen zu generieren versuchte. Ein Veto des Amtes für Denkmalschutz wird ignoriert. Welche Kirche in Berlin, außer der katholischen Kirche, sprach sich klar für Erdbestattungen aus? Selbst das Bestattungsgesetz besagt, dass der Wille und die Religion jedes verstorbenen Menschen Beachtung finden muss. Der Kirche ist die Bestattungsart schnuppe. Das muss man kurz wirken lassen. Sogar das Ordnungsamt Berlin würde niemals einen Menschen muslimischen Glaubens verbrennen. Bei anderen Menschen kümmert sich die Kirche nicht darum, dass man auf Religion generell achten sollte. Der einsame Tote bekommt die billige Feuerbestattung vom Amt. Die Kirche bietet die billigsten Urnenbestattungen an. Das ist eine absurde Gleichgültigkeit, die nicht nur Barmherzigkeit vermissen lässt. Die Stadt ignoriert Gesetze, so auch Bestattungsgesetze. Die Kirche aber ignoriert ihre eigenen Schriften! Beide entwerten sich durch Ausverkauf. Ich habe gestern eine Reportage über die traditionellen Badehäuser in Japan gesehen. Sentō. Mich fasziniert enorm, dass eine alte Kultur leicht überliefert werden kann. Jung und alt gehen in die Badehäuser und zelebrieren täglich ihre Körperreinigung. Nach der Reinigung ruhen Japaner in äußerst gepflegten und stilvollen Gärten. Sie üben mit Kindern Verhaltensregeln. Kein tätowierter Mensch käme auf die Idee, in die Häuser zu stapfen und sich zu widersetzen, denn Tattoos gelten in Japan als Abzeichen der Mafia. Modisches soll man in einem Sentō nicht tragen, weil die Konkurrenz den Sinn des Hauses zerstören würde. Diese leichte Disziplin, die Freude verbreitet, Menschen verbindet, Ärger in Wohlbefinden verwandelt, zelebrieren Japaner ungemein gern; und sie machen das großartig. Kein Japaner würde ein Badehaus führen und polemisch sagen: "Das wirft doch hier kein Gewinn ab. Ich verkaufe mein Grundstück. Den Garten mache ich nächste Woche - irgendwie." Diese Worte denkt ein Japaner nicht. Unnötig zu erwähnen, dass ein Sentō nicht einfach transportiert und eröffnet wird, um dann in experimenteller Flachheit zu verkommen. Tradition könnte eine Kunstform sein.