Die Angst vor der Wahrheit

Sie geht um - die Angst. Menschen, die ich in meinem Beruf traf, hatten immer Angst vor der Wahrheit. Jemand ist wirklich tot, also weg, also nicht mehr erreichbar. Es gibt einen Gassenhauer von Kurt Tucholsky und der geht so: "Wenn eena dot is, kriste ‘n Schreck.
Denn denkste: Ick bin da, un der is weg. Und hastn jern jehabt, dein Freund, den Schmidt, denn stirbste ‘n kleenet Sticksken mit…Wenn eena dot is, brummts in dir: Nu is a wech. Wat soll ickn denn noch hier? Man keene Bange, det denkste nämlich jahnich lange; ne kleine ßeit, denn is soweit: Denn lebst du wieda wie nach Noten! Keener wandert schneller wie die Toten…" Angeblich handelt es sich um ein Gedicht. Das glaube ich aber nicht. Wovor haben die Menschen heute Angst? Sie haben keine Angst vor einem Virus. Sie fürchten vorrangig nicht den Tod. Sie befürchten eine sehr schlechte Gesundheitsversorgung. Sie fürchten den Verlust von Geld. Alte Menschen fürchten sich real vor der aktiven Sterbehilfe, sollten sie wegen des Virus in ein Krankenhaus gebracht werden. Das dokumentiert eine enorm schlechte Politik, denn kein Mensch glaubt daran, dass nach dem Virus Friede, Freude, Sonnenschein herrschen wird. Menschen haben keine Endzeitstimmung. Sie sind keine apokalyptisch Getriebenen. Sie haben keine Hoffnung, die bekanntlich zuletzt stirbt. Sie haben keine Hoffnung, weil Politiker die Schoßhunde der wirklich großen Finanzwelt geworden sind. Heute meint Politik: Man muss Bücher über Derivate und Swaps lesen. Man muss über Staatsanleihen nachdenken. Man muss darüber nachdenken, warum Griechenland gezwungen wurde, die Banken mit 250 Mrd. Euro zu retten. Man muss heute darüber nachdenken, warum Privatisierung ganz oben auf der Agenda steht. Man muss darüber nachdenken, warum der spanische Finanzminister 400 000 Menschen entlassen hat und warum er die EU einen Club nennt, "aus dem man nicht raus kann". Man muss sich Abhandlungen besorgen, die einem genau beschreiben, wer wann warum das Gesetz zur Regulierung der Banken außer Kraft setzte, warum Rettungsfonds Banken retten sollen. Man muss sich heute einen globalen Überblick über das Netzwerk der Banken verschaffen, denn auch Mario Draghi war einst Chef von Goldman Sachs. Ich habe heute über Folgendes nachgedacht: Wenn europäische Steuerzahler die Banken retteten, dann könnten Banken heute die Steuerzahler retten. Helden bringen Hoffnungsschimmer; sie bringen Energie, schaffen Zusammenhalt. Die SPD steigt in den Vorstand einer deutschen Bank. Das ist ein Symbol dafür, dass sich die Bedingungen, die Verhältnisse grundlegend geändert haben. Die Banken waren schneller. Sie werden die schnellsten Akteure bleiben. Sie haben DIE graduierten Experten, fast schon Philosophen, aus allen Teilen der Welt für sich gewonnen. Im Moment gibt es keinen deutschen Politiker, der dieses fatale Verhältnis je ändern könnte. To little to rise. Darüber sollten Politiker nachdenken.