Respekt . Kultur . Politik

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Michael Müller, Politiker der SPD, Vorstand in der städtischen Charité Berlin, hielt eine Rede im Abgeordnetenhaus am 10.12.20. Der RBB berichtet (Internet ist ständige Gegenwart). Der Bürgermeister sagt tatsächlich: "Da kommt ein 30-jähriger Türke, ein Kerl wie'n Baum, ohne Vorerkrankung auf die Intensivstation; und sie kriegen ihn nicht mehr runter. Er verstirbt - innerhalb weniger Tage." Der Eindruck, dass er den Text nicht selbst geschrieben hat, festigt sich später, vor allem durch Haltung, Aussprache, Mimik, die nur zu einem fremden Text passen. Ich möchte gerne, dass Menschen über einen derartigen Satz nachdenken. Ich möchte sogar, dass Menschen einen derartigen Satz laut aussprechen, damit sie ein Gefühl entwickeln. Mir wird klar, wo der Alltagsrassismus ausströmt. Mir wird deutlich klar, dass wichtige politische Reden andere (vor)schreiben. Mir wird der Ursprung der neuen Respektlosigkeit klar. Der Verlust einer politisch intelligenten Rhetorik macht deutlich, dass die Rhetorik gänzlich unausgebildeter Menschen, wie von selbst, aufsteigt. Schüler, Berufspendler, Handwerker, die Schulungen besuchen müssen, lernen Sprachen. Auch der Hausmeister Am Lokdepot lernt eine zweite Sprache, also die deutsche Sprache. "Türken, Männer wie Bäume", die im Abgeordnetenhaus tätig sind, trainieren sogar die Aussprache, die Pausen, also die Betonungen. "Da kommt ein 30-jähriger Türke…sie kriegen ihn nicht mehr runter…er stirbt…" In meinem Beruf ist so eine Sprache höchstens hinter den Kulissen denkbar. Öffentlich gehört habe ich so einen Satz nie. Selbst die gesellschaftlich verachteten Sargträger, Bestattungshelfer, artikulieren sich in einer professionellen Berufssprache. Millionen Männer aus handwerklich extrem schweren Berufen konnten sich vor vielen, vielen Jahren den Satz echte deutsche Arbeiterhände abgewöhnen. Im europäischen Sprachraum von Helmut Schmidt brauchten sie diesen Satz schlicht nicht mehr. Zudem stieg das Bildungsniveau im Handwerk stetig an. Bei Herrn Müller leider nicht, denn in diesem Beitrag gleicht ein anderer Abgeordneter den Lagebericht des Senats Berlin mit dem Vortrag von Herrn Müller ab. Er zeigt 0 Tote in der beschriebenen Altergruppe. Herr Müller muss nun ohne Skript antworten. Er verweist auf die Aussagen der in der Charité Verantwortlichen. Er atmet schwer: "Möglicherweise ist es am Tag davor (vor Statistik) passiert. Möglicherweise ist derjen'jie nicht 30 sondern 31…" Er verlässt sich auf die Aussagen, die in der städtischen Klinik Charité gemacht wurden. Ein Bürgermeister, selbst Vorstand in der Charité, übernimmt nicht die Verantwortung für seine Aussagen. Er nimmt also keinen Einblick in die medizinische Unterlage des Mannes, weil er nicht einmal mehr mit Fragen rechnet, weil ihm sogar eine Korrektur eventuell falscher Statistiken egal ist. Er wirkt gleichgültig. Das erklärt zunächst die gleichgültigen Baupläne für den Friedhof in der Bergmannstraße; und meine eigene politische Heimatlosigkeit.