Club 27

Um mir selbst Weihnachten - ohne Schnee und ohne Wintertemperaturen - vorzugaukeln, bin ich heute über den Kurfürstendamm spaziert. Ich habe einfach leise "Jingle Bells" gesungen, ging in die Volksbank, um dem Mann, der dort jede Nacht schläft, einen kleinen Nikolaus zu bringen. 50 Cent. Ich gebe immer 50 Cent, weil ich an ihn glaube, so, wie andere Menschen an 50 Cent geglaubt haben. Ich erkenne Talente sofort. Ein Blick in die Augen reicht. Seine Power strahlt aus seinen Augen heraus. Er liegt nicht betroffen in der Ecke des Raumes. Er wartet. Dieses Warten erinnert an das Warten vieler Europäer, die hoffen, dass Politiker den Weg, den sie versperren, freimachen. Betroffenheitspolitik könnte ein Ergebnis des berühmten Betroffenheitsjournalismus sein. "Wir können keine Ziele entwickeln, weil wir von Krisen getrieben werden." Der Mann, der jede Nacht in der Volksbank schläft, lässt sich von den momentanen Krisen nicht treiben. Er könnte im EU-Parlament nicht nur Krisen bewältigen. Er könnte Wege durch Krisen bahnen. Er hat ein Ziel, dass er nicht aus den Augen verliert. Seit 25 Jahren arbeite ich, wie viele andere Menschen auch, im Krisenmodus. Ich muss mich seit 25 Jahren um meine Rente kümmern, die nicht der Staat zahlen wird. Ich muss Angehörige erreichen, die mit einem Todesfall in unendliche Tiefen fallen, auch in finanzielle Schieflage geraten. Ich kann mir einen Politikersprech nicht erlauben: "Wissen Sie… Bestatter werden seit Jahren von Krisen getrieben. Wir können da keine Ziele für Angehörige erarbeiten." Ich muss Politiker über Steuergelder finanzieren. Zeit zum Krankwerden habe ich nicht. Die Krankenversicherung steigt trotzdem im nächsten Jahr, weil die Forschung nicht etwa Vorteile bringt. Sie ist einfach so verdammt teuer. Ist Europa schon gestorben? Man hört nichts über griechische Philosophen, italienische Handwerker, spanische Künstler, französiche Chansons. Fadosänger, britische Schriftsteller, Dichter, Musiker, Fischer, Schneiderinnen. Gibt es junge Menschen in Europa? Liegen sie in der Ecke eines Raumes, wie der Mann bei der Volksbank, der darauf wartet, dass seine Zeit gekommen ist? Wer findet 27 junge europäische Visionäre? Wer findet 27 Staatsmänner*innen? Ich meine nicht Politiker schlichten Gemüts, die sich in Fahrwasser legen. Ich meine nicht Menschen ohne Ecken und Kanten. Ich meine nicht Menschen ohne Strahlkraft, die sich viel zu große Jacken anziehen und sich selbst darin verlieren. Der Bau der Europäischen Zentralbank kostete 1 Milliarde Euro; und doch strahlt sie nicht. Woran liegt das nur? Für 1 Milliarde Euro hätte ich gedeckte Tischmeilen durch Europa laufen lassen, damit wir alle ein einziges Mal gemeinsam am Tisch sitzen und zusammen essen. Wo ist der lebendige Club 27, der Europas Feuer neu entzündet, die einfachen kleinen Lichter entzündet und die vielen schönen Räume ausleuchtet? Martin Schulz versenkte eine Schwimmhalle. Ursula von der Leyen hebt die Gorch Fock. Wie schade. Sie haben keine Zeit, weil sie von Krisen getrieben werden.