Das Schweigen der Lämmer

Dieser Film mit Sir Anthony Hopkins und Jodie Foster - in Großbritannien wäre sie schon längst eine Dame - zeigt mir persönlich ziemlich deutlich, wie schnell ich selbst gut und schlecht, richtig und falsch zu vergessen bereit bin. Das funktioniert, weil es in dem Film keine Bestatter im Einsatz gibt, die mit Angehörigen eine Bestattung besprechen. Dieser Film lebt von klassisch amerikanischen Übermenschen, die immer dann kommen, wenn die Arbeit der Polizei endet. Agentin Starling, Tochter eines getöteten Polizisten, toughe Athletin, intelligente FBI-Agentin fürchtet sich nicht vor Ratten oder Spinnen in einem Keller. Sie stellt sich einem Monster. In musikalisch komponierter Panzerglasatmosphäre trifft sie auf einen asketisch spirituell gekleideten Akademiker, der sie bereits an ihren Schuhen erkennt, der ihre Düfte und ihr Verhalten so messerscharf analysiert, dass der weltliche Zuschauer ins Stadium eines YPS Heft-Agenten schrumpft. Sie heißt nicht Frau Starling. Sie heißt Agentin Starling oder einfach nur Starling. Die sozialen Umgangsformen werden aufgelöst. Der Psychiater verlässt seinen Platz, hat die Seiten auf stilvolle Weise gewechselt. Quid pro quo heißt etwas für etwas, dies für das. Der Akademiker tötet den Stillosen, der Starling düpiert. Er tötet den Gefängniswärter, der ihn mit Religionsprogrammen demütigt. Doktor Lector verwandelt das Töten in einen Kunstraum: "Bereit, wenn Sie es sind." Er ist kultiviert, liebt die klassische Musik und gutes Essen. Rein zufällig (!) ist der schmuddlige Typ ein Transsexueller, der im Grunde keine wirkliche Umwandlung möchte. Er ist einfach ein kranker Typ mit gelben Fingern. Seine Art zu töten ist billig. Er legt sich einen Gipsarm an, bittet eine Frau um Hilfe, die zufällig (!) die Tochter einer Senatorin ist. Er ist ein Perverser, der Frauen in ein Verlies sperrt, um sie dann zu häuten. Er ist durch und durch ungebildet. Creme es sich mit Lotion ein ist jener Satz, der ihn zum Abschuss freigibt. Er ist kein Akademiker, er ist nicht Doktor Lector. Mit dem Flug eines Falters öffnet Starling ihr Holster im Haus des Psychopathen. Sie atmet sich energisch aufgewühlt durch dunkle Räume und findet das Opfer. Die Tochter der Senatorin befindet sich in einer hysterisch desolaten Verfassung. Starling erschießt den schmuddligen Psychopathen, der noch am Ende Katz und Maus spielt. Sie schießt instinktiv, holt jede Kugel aus dem Magazin. Mit dem Tod des Frauenhäuters atmet jeder Zuschauer aus. Die FBI Agentin, gegen die Anweisung ihrer Behörde agierend, rettet im Alleingang das Gute, das langsam in zerknautschte Brustkörbe einzieht. Gleichermaßen wurde Doktor Lector, der kultivierte Akademiker, befreit. Er bekundet sogar seine humanistische Frauenliebe in einem letzten Telefonat mit Starling, der erfolgreich ausgezeichneten Agentin. Diese letzte Szene erinnert ohne Zweifel an ein manipuliertes Evangelium. Hier verkündet der Prophet Jesaja (Jes 43,1): "Der Herr spricht, der Dich geschaffen hat: Fürchte Dich nicht, denn ich befreie Dich. Ich rufe Dich bei Deinem Namen, mein bist Du! Wenn Du durch Wasser gehst - ich bin bei Dir; wenn durch Ströme - sie werden Dich nicht überfluten. Wenn Du durch Feuer schreitest, wirst Du nicht brennen, und die Flamme wird Dich nicht versengen." Doktor Lector verwandelt die bewaffnete Maschine in eine Frau, indem er sie Clarice nennt. Die Zuschauer sind beeindruckt. Der eigene Wandel der Gefühle grenzt an Magie. Der extrem fragile Glaube an Wunder, die Menschen vollbringen, entfaltet sich. Und deshalb würde kein Mensch unmittelbar nach dem Film den Müll in den Keller des eigenen Hauses bringen. Die Dunkelheit ist nicht nur dunkel. Sie ist gefährlich und mächtig. So ziemlich alle Menschen sind sich einig, dass man nachts keinem schmuddligen Mann mit Gipsarm hilft. Der muss seine Couch allein in einen weißen Lieferwagen verfrachten können. Dem schmutzigen Mann kann man bestenfalls eigene Schäden andichten. Nun kommt heute die Süddeutsche Zeitung mit einem Artikel über Polizeiarbeit um die Ecke. Die Überschrift entlarvt nicht nur eine gefährliche Doppelmoral. Sie entlarvt neurotische YPS Heft-Agenten: "Polizisten haben in Deutschland seit 2010 mindestens 133 Menschen erschossen. Jedes zweite Opfer war wohl in einer psychischen Notsituation. Warum mussten sie sterben?" Der Glaube an Wunder und Heldentaten, die Menschen vollbringen können, schwindet unmittelbar. Ich bin froh, dass ich am Tag X nicht in Orlando war. Ich bin froh, dass ich am Tag X nicht mit Freunden in Hanau war. Derartige Headlines manipulieren das soziale Leben akut, war ich bisher der Meinung, dass die Polizei das Gute beschützen soll, damit Bestatter nicht die Freigaben von Ermordeten bei der Kripo abholen müssen, damit das soziale Leben generell und für Angehörige leichter wird. Bei Hellweg in der Yorckstraße hat ein Mann ein Teppichmesser gestohlen. Teppichmesser sind keine Messer, gelten also nicht als Waffe. Er schrie den Abteilungsleiter wüst an, beschimpfte ihn auffällig, drohte verdreht mit der Polizei, als er erwischt wurde. Er erklärte also weder seine Armut noch die Misere über einen unverlegten Teppichboden. Da er glücklicherweise niemanden mit dem Messer verletzen konnte, wurde er natürlich nicht getötet. Bei dem blassen Abteilungsleiter hat sich kein Mensch bedankt. Er ist kein Held, weil er verantwortlich dafür gemacht wird, dass Journalisten keine Therapeuten geworden sind. Wenn man Plätze manipuliert, dann manipuliert man auch Gesetze. Ich nenne ein braves Beispiel. Viele Menschen manipulierten, dank fragwürdiger Juristen, die Nichtraucherschutzgesetze und die Arbeitsstättenschutzgesetze. Allmachtsfantasien beeindruckten Richter bedenklichst, mit Geschichten gegen Raucher, die keinen Oscar holen würden. Völlig falsche Urteile in der Vergangenheit sind bezeichnend und auch amüsant. Warum? Vor jeder Tür der Kriminalpolizei, der Meldestellen, der Gerichte wird geraucht, stehen sogar Aschenbecher. An jedem Nebeneingang eines Krankenhauses stehen Aschenbecher, sogar für Patienten. In jedem Hospiz dürfen Besucher und Patienten auf ihrer Terrasse rauchen. Nirgendwo stehen Schilder: Bitte rauchen Sie nur am Haupteingang. Die emotionale Welt von psychisch Kranken muss nicht stümperhaft analysiert werden, wenn man freundlich Gesetze einhält. Andernfalls züchten wir den Dr. Lector, der frisst, wann immer er Hunger hat.