I am overblessed

Eine Frau, eine Mutter, eine Ehefrau verliert ihren jungen Sohn. Sie begleitet ihn in den Tod. Sie geht bis an die Grenzen von Leben und Tod, ganz nah - zu nah vielleicht. Sie steht in der Erschöpfung. Das ist der Ort, an dem die irdisch menschliche Schöpfung endet. Sie steht vor einer verschlossenen Tür, die sie nicht öffnet. In der Umlaufbahn ginge sie der Welt verloren. Sie lässt das Leben ihres Kindes ziehen; und sie selbst bleibt hier. Ihr Humor ist tragend. Mit ihrer Selbstironie will sie niemanden nerven. Die Momente, in denen sich ihre Tränen einfach befreien und zeigen, bedeuten mir persönlich viel. Ihre Augen leuchten dann ungewöhnlich hell und wegweisend. In der Musik findet sie Freude und Trost zugleich. Sie singt in einem Chor; und ein Chor lebt nicht durch flache Stimmen - oder stumpfe Texte. Eine junge Frau begleitet ihre Schwester in den Tod. Mit ihrer Mutter, mit ihren Nichten und Neffen geht sie bis an die irdischen Grenzen. Auch sie beschließt, der Welt erhalten zu bleiben. Auch sie öffnet die Tür zur Umlaufbahn nicht. Sie bleibt der Welt erhalten. Sie bleibt hier; und hier meint Zuhause. Bei der Trauerfeier weint sie so sehr, dass ihre Augenlider wund werden; und doch glitzern und leuchten ihre Augen im Wasser. Ihre Stärke ist ihr Sinn für Gerechtigkeit, ihr politischer Geist, ihre Freiheit. Ein Vater überlässt seinem Sohn sein schickes Auto. Ali macht mit seinem Freund eine Spritztour. Beide sind erst zwanzig Jahre alt. Nachts geraten sie in einen schlimmen Unfall. Ali schläft auf der Rückbank. Er stirbt sofort. Sein Freund überlebt. Bei der Beerdigung sackt die Mutter vor dem Sarg zusammen. Sie schreit vor Schmerz - wie eine Mutter, der das Kind aus dem Leib gerissen wird. Ihr eigener Vater hält die Rede für seinen Enkel Alonso, die so leuchtend und lebendig ist, dass sie seine Tochter ein wenig aufrichtet. In dreißig Berufsjahren habe ich nicht einen traurigen Menschen angetroffen, der Rache suchte, der Ärger manifestieren wollte, der abrechnen wollte, der im Mittelpunkt stehen wollte. Ich habe nicht einmal einen traurigen Menschen getroffen, der jammerte, weil er verlassen wurde. Trauernde verstehen sich als Schwache. Ich sehe starke und selbstbewusste Menschen, die eine enorme Strahlkraft haben, die Licht in die Dunkelheit senden. Wie sonst könnte ich mich nach so vielen Jahren an sie alle erinnern?! Sie alle tragen ihr Licht in die Welt, die oft mit dummen Dingen beschäftigt ist. Seit zwei Jahren werde ich, während meiner Arbeit, mit einer völlig unwichtigen Fremdgeschichte belästigt. Der langweilige Klassiker: Ein Paar kauft eine Wohnung. Beide trennen sich. Sie nennt ihn Ex. Er nennt sich selbst Ex. Sie bezieht Jahre später die Wohnung. Er mimt den Handkußprinz, der sie betreuen muss. Plötzlich ist er nicht mehr der Handkußprinz, weil sie einen neuen Typ in die gemeinsame Wohnung einschleppt. Er wird nie mit einer schönen, gebildeten Frau einen Wein in seinem Teil der Wohnung trinken können. Diese mikroskopisch kleine Geschichte wird von ihr überdimensional in mein Bestattungsinstitut projiziert - natürlich völlig gestört und schlampig, dumm und stumpfsinnig. Als Bestatterin habe ich sogar die Pflicht (!) Dummheit auszuladen, sogar auszusperren. Mein beruflich großer Erfahrungsschatz verbietet mir den Umgang mit Hirnlosen, Herzlosen und Geistlosen. Kategorischer Imperativ! Nur so können Menschen verstehen. Es gibt eben einfach keinen Veganer, der Tierisches speist. Für selbstbewusste Frauen gibt es keine Row Zero, in der sie zusehen, wie Mädchen schließlich alles mitmachen! Das ist stumpfsinnig und dumm. Es gibt keine selbstbewusste reiche Frau, die strahlt, die leuchtet und dann einem Epstein Mädchen zuführt, um später zu denken, dass die Mädchen schließlich mitmachen! Das sind dumme Frauen. Es gibt keine jungen Frauen, die um ihr Können wissen, um sich dann mit einem Weinstein zu demütigen! Das hat der Ansatz zu sein. Ein Mensch muss unmittelbar nach seiner Geburt erfahren, dass er strahlen kann und muss, dass seine Augen auch in der Trauer leuchten, dass er sogar die Verpflichtung hat, seine Gaben zu finden!