Ermahnungen

Deutsche meiner Generation, nach den Alliierten, haben die Ermahnungen satt. Herr Gauck ermahnt. Herr Schäuble ermahnt, Herr Steinmeier ermahnt, Frau Merkel ermahnt. Meine Generation hat sich nicht einen Politiker als Vorbild wählen können, weil es keine Vorbilder gab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen der Multikultur ein politisches Vorbild haben. Bisher konnte ich das nicht herausfinden. Vorbilder für meine Generation waren Gandhi, Konfuzius, Muhammad Ali, Kemal Atatürk, Abba, Hannah Arendt, die Geschwister Scholl, Anne Frank, Ernest Hemmingway, David Bowie und viele mehr. Sogar Miss Marple war ein Vorbild für gute Unterhaltung und Recherche. Yves Klein stand für die Farbe Blau. Jil Sander und Wolfgang Joop waren Vorbilder - nicht nur für Mode. Meine Generation suchte, in der Verlogenheit der Nachkriegszeit, in der Bigotterie, Echtheit und Authentizität. Nie wieder und in Amt und Würden passte nicht. Kürzlich kam ein Mann zu mir. Sein Freund hatte sich das Leben genommen. Er war nicht nur ernsthaft verzweifelt. Er hatte, wie alle Hinterbliebenen, enorme Schuldgefühle. Er landete vor mir bei einer "Bestatterin", die ihm für den Abschied vorschlug: "Sie könnten um Verzeihung bitten." Diese erbärmliche Bigotterie hatten wir in den 1990er Jahren weit hinter uns gelassen. Diese "Bestatterin" erinnerte mich an jenen Popen, der in seinen Fürbitten - 10 Jahre nach Kriegsende - die Juden ermahnte, sich zu Jesus Christus zu bekennen. Ich fragte den Mann, der seinen Freund verloren hatte, wie lange er ihn kannte. Er kannte seinen Freund 20 Jahre. 6 Jahre lebten er mit ihm in einer engen Beziehung. Ich sagte ihm, dass er das Leben seines Freundes wahrscheinlich um wenigstens 6 Jahre verlängerte. "Bitten Sie sofort um Verzeihung." Ich konnte sein Lachen herauslocken. Eine junge Journalistin beschrieb kürzlich in der ZEIT das Aufkommen der Rechten in Deutschland. Klug schrieb sie darüber, dass man sich vielleicht rechtzeitig überlegen sollte, wo man seine Steuern bezahlen möchte, wo man seine Wohnungen kaufen möchte, in welchem Umfeld man seine Kinder wissen möchte. Sie zeichnete nicht mit einem deutsch-deutschen Namen. Mit ihren Fragen steht sie wahrlich nicht allein. Steinmeier und Kollegen würden sie sicher zur nicht vorgelebten Vernunft ermahnen. Präsident Macron bietet ihr ein lebendig starkes Europa an. Nicht die multikulturell deutsche Gesellschaft ist politikverdrossen. Die gesamte Gesellschaft hat die vorbildlosen Ermahnungen gründlich satt - vom Kind bis zur Rentnerin. In einer Steuerangelegenheit ruht beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg ein Urteil. Es geht um geprüfte Unterlagen einer Baumaßnahme. Die ausführende Firma übergab mir damals angstvoll kommissarisch alle gewerblichen Legitimationen. Das Finanzamt bemängelte eine differierende Anschrift, so, als dürfe man nicht mit seiner Firma umziehen, als dürfe man keine Filiale eröffnen. Das Finanzgericht lässt das Urteil ruhen, weil sie Recht nicht gönnen können. Zwei Dinge sind mir heute glasklar. Das Finanzgericht urteilt belegt nicht mehr neutral. Es geht nicht um zwei erklärbare Anschriften in den Belegen. Es geht um den ausländischen Namen des Firmeninhabers. Er klingt arabisch, beschreibt aber den Namen eines spanischen Inhabers. So wirkt deutsche Politik im Lande - gegen Europa. Die demokratischen Regeln werden in vielen Behörden umgeworfen, weil sie nie stabil waren, wahrscheinlich nie politisches Ziel waren. Ermahnungen im Land ohne Vorbilder! Wo sind wir also tatsächlich? Hans Litten würde furchtlos und mutig handeln. Da bin ich mir heute ganz sicher!