Ich darf doch bitten

Ein Satz, der zur Unkultur gehört, lautet: "Bei ihr muss man sehr aufpassen!" Das sagen Leute, die nie aufpassen; und im Grunde bittet jeder Mensch darum, dass andere aufpassen. Ich reagiere äußerst wach und schnell, wenn Menschen Spiritualität missbrauchen, um Engagement einzuschläfern. Kürzlich riet mir eine Frau, die nach meinem Beruf fragte: "Mach doch Yoga…" Ich bekam einen nicht steuerbaren herzhaften, also spirituellen Lachanfall. Durch diese Frage, die wahrlich keinen Seltenheitswert hat, ist mir bewusst geworden, wie schief mein Berufsbild überhaupt hängt. Ein Jogger auf einem weltlichen oder christlichen Friedhof ist definitiv unspirituell zu nennen. Seine After-Yoga-Einheit ist als reines Hobby zu betrachten. Sie nutzt dem Körper, nicht dem Geist. Zweifelsfrei würde er weder durchs buddhistische Haus joggen noch über einen jüdischen Friedhof. Sein durch Furcht getränkter Respekt, der ebenfalls nicht echt ist, hält ihn einzig und allein davon ab, gewisse Turnübungen auf einem islamischen Friedhof zu zelebrieren. Mach doch Yoga könnte auch meinem Schmeiß mal 'ne Xanax. Es wird wahllos verschrieben, um taub zu werden. Das ist das Gegenteil von Spiritualität! Seit 25 Jahren sitze ich täglich in spirituellen Räumen, lausche wachsam vielen Formeln und Worten. Manchmal warte ich vor den spirituellen Räumen und unterhalte mich mit den Friedhofsangestellten. Gemeinsam müssen wir der Musik folgen, um rechtzeitig die Türen zu öffnen. Seit 25 Jahren sehe ich traurige Gesichter, die heiterer sind, als die Gesichter auf der Straße. Woran liegt das? Der Tod eines jeden Menschen katapultiert das Leben in die hinterbliebenen Familien, in die Freunde. Er zerrt den Geist ins Wache, dass es zeitweilig euphorisierend sein kann. Tränen laufen unkontrolliert. Er ist wie ein Booster, der die Akkus in Minuten auf 100% bringt. Mach mal Yoga, schlaf ein, betäube Dich. Schmeiß eine Xanax. Es ist DIE moralische Verpflichtung generell, den Schlaf abzuwerfen, täglich, weil man bei anderen Menschen sehr aufpassen muss! Ich will sagen, dass das Bild eines abgestumpften Bestatters zutreffen kann. Dieses Bild entspricht nur nicht den Tatsachen. Es bleibt ein Beruf am Rande der Spiritualität. Ein Radioreporter bat Jugendliche - auf der Straße! - das Vater unser… aufzusagen. Da er selbst schlief, hat er wahrscheinlich bis heute nicht begriffen, dass ahnungslose Jugendliche die Quelle der Spiritualität sind: >>…und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern….<< Ein Mensch sitzt an einem Fenster und sieht in den Himmel. Die Wolken ziehen. Wenn er noch nicht weiß, dass er meditiert, dann muss er nur wach werden um es zu wissen. Eine Moderation benötigt er nicht. Seine Quelle wird sprudeln; und sie sprudelt immer.