Nachgedanken

Nach einem Todesfall erinnert man sich intensiv an einen Menschen, der nicht mehr da ist. Kleine zeitlich begrenzte Erinnerungsfenster öffnen sich unangekündigt. Man hört die Stimme eines Menschen. Man sieht eine Handbewegung. Man sieht sich selbst mit einem Menschen, der nicht mehr da ist. Man kann diesen Menschen unglaublich groß erinnern. Man kann die Fehler ausblenden und die Schatten retuschieren. Man kann die Fehler unglaublich groß darstellen und die Talente ausblenden. Die Erinnerung an einen echten Menschen hat immer eine Grenze. Der eigene gesunde Geist pflegt diese Grenze. Es ist ein gepflegter Spurengarten, in dem nicht jeder laut durchmarschieren darf. Ausführungen ohne Ufer oder aufgebauscht theatralische Erzählungen beschreiben einen ungepflegten Garten. Dort bauen sich Legenden auf, Sagen, Mythen. Unbekannte Mächte bauen sich auf. Ich möchte in einer Spiegelung darüber schreiben, wie eine unbekannte Macht, in unserer realen Welt, Deinen schönen Garten zertrampeln lässt, an Bäume pissen lässt, in Sträucher kacken lässt, besoffen Deine Zäune einreißen lässt. Hohe Politiker und sogar die geschätzte Madame Lagarde werden von dieser Macht in den Bann gezogen. Sie schwärmen von einem großen Unbekannten. Sie beäugen sein Werk neidisch. Sie eifern ihm nach. Sie hinterfragen sein Werk nicht. Journalisten singen Hymnen über diesen Unbekannten, der am Ende ein Nazi, ein dummer Reichsbürger, ein Idiot sein könnte. Sie nennen ihn ein Genie. Er ist Vorbild für die Welt - sogar für Kinder. Menschen gehen mehr und mehr auf die Straßen. Ihre Gärten werden verwüstet. Nicht nur ein Streit bricht buchstäblich vom Zaun. Satoshi Nakamoto ist ein Pseudonym. Kein Mensch kennt ihn. Kein Mensch hat ihn je gesehen. Akademiker verehren ihn. Gedanklich dienen sie sich ihm förmlich an. Jedes kritische Denken hakt komplett aus. Satoshi Nakamoto könnte ein Kobayashi-Maru-Test sein, also ein fiktives Übungsszenario. Diese Tests ergründen das Verhalten in einer No-win-Situation. Menschen lachten, als der Bitcoin einen Wert von 50 Cent hatte. Sie staunten, als der Bitcoin einen Wert von 6000 Dollar hatte. Sie duckten sich ehrfürchtig, als der Bitcoin einen Wert von 17000 Dollar hatte. Sie unterwarfen sich, als der Bitcoin einen Wert von 49000 Dollar hatte. Sie schmücken ein Leben aus, in dem der Bitcoin einen Wert von 100 000 Dollar hat. Elon Musk gab 1,5 Mrd. Dollar her. Gene Simmons von KISS spendete nicht 300 000 Dollar an ein Kinderheim. Er unterwarf sich einer Sache, die so mächtig ist, dass er gerne einen Diener machte. Satoshi Nakamoto! Die große Unbekannte, der große Unbekannte, entwarf seine/ihre Macht: Der Bitcoin. In diesen Tagen stieg erstmals seine Marktkapitalisierung über die Marke von einer Billion Dollar. Die Welt ist völlig gefesselt. Die Gärten werden verwüstet; und Christine Lagarde möchte den digitalen Euro erschaffen. Auch sie fragt nicht: "Liebe Europäer, möchtet ihr den digitalen Euro?" Auch sie verehrt den großen, den mächtigen, den einzigartigen Satoshi Nakamoto. Sie stapft trunken von der Macht durch feinste Gärten, torkelt durch die Ranunkeln und fällt in die Hortensien. Konzerne ergeben sich der heilsbringenden "Währung". Sie verneigen sich und öffnen ihre Türen. Schweizer Banken werden keine lästigen Schließfächer mehr benötigen. Spuren der Geschichte werden das Gold in kryptische Nachrichten verwandeln. Satoshi Nakamoto - und das ist die Realität! - ist ein Unbekannter, dem Politiker, Journalisten und Akademiker folgen. Menschen auf der ganzen Welt dienen und biedern sich an. Sie betteln um jeden Coin - den es nicht gibt! Es handelt sich beim Bitcoin um eine Nachricht! Ich selbst bin nicht verzaubert, weil Menschen übertreiben, ausschmücken, in Szene setzen. Akademiker, also Politiker, entwürdigen sich vor unseren Augen; dieses Szenario ist überaus peinlich. Es ist auch brandgefährlich, weil es Menschen auf die Straßen treibt. Die Welt wird drastisch verändert und Demokratien schleichen sich. Politiker schaffen Märkte ab. Sie arbeiten mit Zockern, die den Garten der Trader schon längst verwüstet haben, den Namen nicht verdient haben. Sie pissen auf Rosen, heulen über Verluste, kleben Smileys und kotzen auf den Rasen. All das ist diese reale Welt, die einen Unbekannten, den es vielleicht nie gab, beschreibt - ohne jede Grenze - ohne jedes Gefühl für ein Maß in der Erzählung. Peinlich berührt bin ich, weil ich mich frage: "Denken Akademiker wirklich - wenn sie denken - dass ich so dermaßen dumm bin, diese Geschichte um den großen Unbekannten zu glauben?"