Diesseits und Jenseits

Bedauerlich für meinen Berufsstand ist die Tatsache, dass das Jenseits ins Diesseits geschleppt wurde. Das Jenseits ist eine vage Vermutung, eine Hoffnung, vielleicht auch eine glatte Lüge, die das Diesseits erträglicher machen soll. Das Jenseits ist die Idee, dass es eine zweite Chance gibt. Ein Wiedersehen mit Happy End. Diese Fiktion, diese schöne Illusion wurde ins Diesseits geschleppt und buchstäblich zermanscht. Im Diesseits wurde eine ungeheuer große Hinterwelt gebaut. Schattenfirmen und Schattenmänner müssen quasi tot sein, denn sie sind keine Lichtgestalten, die auf Bühnen ausgeleuchtet werden. Schattenbanken gibt es im Grunde nicht. Das Geld muss aber über ein Jenseits fließen. Das eingebildete Jenseits kennt keine Strafen, keine Moral, keine Prüfungen, keine Kritiker, keine Demokratie. Das vermanschte Jenseits im Diesseits ist eine Diktatur. In Zeiten des Kalten Krieges galt Berlin als "Die Stadt der Agenten". Für die unsichtbaren Agenten, quasi die Toten, gab es keine Mauer. Es gab nur Berlin. Im heutigen Diesseits sind die "Toten" auferstanden. Heute sah ich ein Fahrzeug von Google. Es war beladen mit Kameras und dem Aufkleber Google Street view. Simple und selbstverständlich mächtig - wie der Tod persönlich - wird die Welt von einer Organisation ausgespäht. Naiv deutet das Diesseits eine brave Suchmaschine in weißem Oberhemd - blütenrein. Das Diesseits will, auch bei Anne Will, dass der Putin den Nawalny vergiften wollte. Die Frau Dagdelen denkt laut und der Herr Röttgen kann sich gar nicht vorstellen wie zum Beispiel ein US-Agent in eine Passagiermaschine gelangen soll, in der ausgerechnet Herr Nawalny sitzt: "Wie soll denn das gehen?!" Vielleicht ist Herr Röttgen tatsächlich ein guter und naiver Mensch. Ich war auch mal naiv und dann entsetzt, als ich erfuhr, dass der Weihnachtsmann im roten Komplet eine Erfindung von Coca Cola war. Die große Unbekannte, das Jenseits, wird nicht daherkommen und sagen: "Hallo. Ich möchte mich heute für das Diesseits beleuchten." Dann wäre es diesseits. Herr Merz wirkte CDU-diesseitig in seiner politischen Äußerung über seine Meinung zu einem homosexuellen Kanzler. Er zog die klare Grenze zu den keineswegs vergessenen Pamphleten eines Politikers der Grünen, der obendrauf im Jahr 2016 mit harten Drogen erwischt wurde. Jenseitiger konnte man sich in diesem Land nicht darstellen. Dieser Home Run gehört durchaus der CDU. Gleichgeschlechtlichen Paaren, die Kinder großziehen, hätte der grüne Politiker einen Dienst erwiesen, wenn er seinen eigenen Jugendwahn klar von Familienwerten abgegrenzt hätte. Aber nein. Er musste sein Jenseits mit dem Diesseits der Allgemeinheit vermanschen. Ergo sind alle homosexuellen Menschen labil, pädophil und drogenabhängig. Herr Spahn trifft sich nun nicht mehr aus politischen Gründen mit Herrn Merz. Er will natürlich nur noch >>das Eine<<. In einer jenseitigen Diesseitspampe wollen alle immer nur >>das Eine<<. Man sollte nicht mit dem Jenseits im Diesseits spielen. Das können nur wenige Menschen; und die unterlassen es.